Auf dem Weg zu einem globalen UN-Abkommen gegen die Plastikflut
Im öffentlichen Diskurs wird vor allem Recycling als Lösung für die Plastikverschmutzung betont und damit auch die Verantwortung bei den Konsumentinnen und Konsumenten gesehen. Forschende sehen jedoch einen anderen Ursprung des Plastikproblems: die petrochemische Industrie, die Plastik herstellt. Und genau hier liegt auch die Krux der Verhandlungen: Vertreter:innen der Zivilgesellschaft versuchen ein ambitioniertes Abkommen zu erreichen, um vor allem Produktionsgrenzen und die Gesundheitsrisiken von Plastik in den Blick zu nehmen. Wohingegen Vertreter:innen aus der Industrie versuchen, die Produktion weiter zu steigern, um ihre Gewinne auf gleichem oder ansteigendem Niveau zu halten. Einige Staaten mit einer starken petrochemischen oder fossilen Industrie fürchten um ihren Wohlstand.
So liefen die Verhandlungen
"Natürlich haben wir uns einen anderen Ausgang gewünscht. Nach vier Verhandlungsrunden hätten wir gerne schon diese Woche ein ambitioniertes Plastikabkommen verabschiedet, aber leider waren die Positionen zu weit auseinander. Es bedarf noch mehr Zeit, um Brücken zu anderen Staaten zu bauen, für ein wirksames Plastikabkommen. Aber wir sind ein Stückchen weiter gekommen im Kampf gegen die Plastikflut. Wie ein Delegierter aus Norwegen am letzten Tag sagte, beginnt man langsam die Konturen eines Plastikabkommens zu sehen. Wir konnten den Text, den wir bis hier hin erarbeitet haben, in eine weitere Verhandlungsrunde für ein globales Plastikabkommen retten, die dann wahrscheinlich in der ersten Hälfte von 2025 stattfinden wird. Hier werden wir an dem Text anknüpfen und hoffentlich durch Beratungen mit vielen Ländern und durch Diplomatie dafür sorgen, dass sich die Positionen annähern und wir sukzessive einem wirksamen Abkommen näherkommen, das auf wissenschaftlichen Faken beruht.
Es ist so schwer, sich auf die Inhalte des Abkommens zu einigen, weil einige Länder eine starke fossile oder petrochemische Industrie haben, die stark von der Plastikproduktion abhängt. Dadurch, dass wir in der Zukunft nicht mehr so viel Öl und Gas verbrennen können, ist Plastik für viele Länder ein Plan B, denn man kann Öl und Gas eben sehr leicht in Plastikprodukte umwandeln. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese Staaten darauf aus sind, ebenso ein Plastikabkommen hinauszuzögern oder sogar zu verhindern. So haben einige Staate, darunter Russland, Kasachstan, und 22 arabische Staaten unter der Federführung von Saudi-Arabien, in vielen, langen Redebeiträgen einiges in Frage gestellt und die Verhandlungen verzögert. Das hat eben dazu geführt, dass wir nicht so weit gekommen sind wie wir uns das vorgestellt hatten. Einige sind auch leider davor nicht zurückgeschreckt, Wissenschaft falsch darzustellen und Desinformationen zu verbreiten – dem zuzuhören, war immer sehr schwer.
Es gab aber auch Lichtblicke: Generell hatte man das Gefühl, dass die Stimme der Wissenschaft mehr gehört wurde. Viele Länder haben sich in ihren Eingaben auf wissenschaftliche Erkenntnisse als Antrieb für ambitionierte Ziele berufen. Das ist natürlich schön, dass diese in den Prozess einfließen konnten. Da hat sich hat sich vor allem die „Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty” hervorgetan. Das Netzwerk hat sich bei der ersten Verhandlungsrunde in Punta del Este gegründet und ist seit dem bei allen Verhandlungsrunden stark auf die Delegierten zugegangen, hat sie mit Daten versorgt und wissenschaftliche Erkenntnisse nähergebracht. Es gab auch Annäherungen, zwischen vielen Staaten, die neue Brücken gebaut haben. So haben zum Beispiel über 100 Teilnehmende eine Eingabe von Panama unterschrieben, die
konkrete Plastikproduktionsgrenzen beschreibt, die im Abkommen festgehalten werden sollen. Auch wurde über Regelungen zu Chemikalien in der Plastikproduktion und zur Finanzierung von Maßnahmen gesprochen. Es gibt also ein großes Level an Ambitionen."
Melanie Bergmann, AWI-Meeresbiologin
So ist der Stand der Verhandlungen
„Der Stand aktuell ist nicht leicht, es ist sehr unübersichtlich geworden, wo die Reise für die Verhandelnden hingehen kann“, so Melanie Bergmann. Die AWI-Meeresbiologin ist Teil der “Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty”. Das Netzwerk von über 350 unabhängigen Fachleuten aus mehr als 30 Ländern unterstützt die Verhandlungen mit Einschätzungen und Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes. Diese sollen den Delegierten helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. „Alle Entscheidungen und Maßnahmen, um die Plastikflut global zu stoppen, müssen auf den besten wissenschaftlich unabhängigen Grundlagen beruhen, damit sie am Ende wirksam sind“, sagt Melanie Bergmann. Diese Entscheidungen dürfen sich nicht nur auf das Plastik beziehen, dass aktuell im Umlauf ist. „Für das globale Plastikabkommen ist es wichtig, ambitionierte Ziele zu formulieren, die den gesamten Lebenszyklus des Plastiks in den Blick nehmen; von der Rohstoffgewinnung über die Produktion in der Fabrik und den anschließenden Gebrauch bis hin zum Ende, sei es auf einer Deponie, in der Müllverbrennung oder im Recycling.“
Für die Forscherin, die Scientists Coalition und vielen anderen Institutionen steht fest, dass die Produktion von Plastik stark reduziert werden muss, um das Problem wirksam zu lösen. Denn selbst wenn die Plastikproduktion um ein bis drei Prozent pro Jahr gesenkt würde, würde die weltweite Plastikverschmutzung weiter steigen, da sich die Mengen produzierten Plastiks bis 2040 auf mindestens 20.000 Millionen Tonnen Plastik aufsummieren werden. Wo sich der Einsatz von Plastik nicht vermeiden lässt, muss an der Zusammensetzung geschraubt werden. Denn: „Plastik enthält mindestens 16.000 verschiedene Chemikalien. Ein Viertel davon ist als gefährlich eingestuft, aber für 10.000 fehlen uns Daten.“ Im besten Fall würde der Plastics Treaty daher auch eine Liste mit positiven und negativen Gruppen von Inhaltsstoffen festlegen, um eine unbedenkliche Zusammensetzung von Plastikprodukten zu erreichen.
Plastic Credits
Die zunehmende Plastikverschmutzung führt dazu, dass Staaten immer mehr Optionen untersuchen und ausprobieren müssen, um den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Folgen zu begegnen. Sogenannte Plastic Credits haben hier als potenzielles Instrument an Bedeutung gewonnen. Angelehnt an CO2-Zertifikate, ist ein Plastic Credit ein messbarer, übertragbarer Vermögenswert, der einer Tonne Kunststoffabfall entspricht, die aus der Umwelt entfernt oder wiedergewonnen wurde. Derzeit können Credits für zwei Aktivitäten gutgeschrieben werden: Müll sammeln (entfernen) und Müll recyclen (wiedergewinnen). Oft wird behauptet, es handele sich um eine neuartige Finanzierungs- und Kontrollmaßnahme. Die „Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty” hat nun genauer untersucht, in wie fern diese Gutschriften der materiellen Komplexität und den unterschiedlichen Auswirkungen verschiedener Kunststoffarten Rechnung tragen können. Ihr Ergebnis ist eindeutig: Plastics Credits sind kein innovativer Ansatz, um die Kunststoffverschmutzung zu reduzieren oder zu finanzieren. Es gibt zwar einen dringenden Bedarf, die stark unterfinanzierte Plastikmüllbewirtschaftung zu unterstützen, die Gutschriften seien hierfür aber nicht das richtige Instrument. Denn sie können dazu führen, dass sich die ohnehin schon fragmentierte Kunststoffpolitik verschärft und effektivere Maßnahmen wie die sektorspezifische Reduzierung von Kunststoffen ausbremsen.
Was muss ein Abkommen enthalten, um erfolgreich zu sein?
Die “Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty” hat wesentliche Elemente festgehalten, die ein verbindliches Abkommen regeln muss, um die negativen Auswirkungen der Plastikverschmutzung auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Klima, die biologische Vielfalt und die Wirtschaft zu mindern. Diese Auswirkungen treten in allen Phasen des Lebenszyklus von Kunststoffen auf, von der Rohstoffgewinnung bis zur Wiederherstellung. Es gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass diese Probleme nicht allein durch die Abfallbewirtschaftung gelöst werden können, sondern dass die Produktion von Primärkunststoffen reduziert werden muss. Ein starkes Ankommen muss daher diese Schlüsselelemente enthalten:
- Reglungen und Beschlüsse, die den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen berücksichtigen, um die Verschmutzung durch Kunststoffe bis 2040 zu beenden und die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt zu schützen
- ehrgeizige und rechtsverbindliche Ziele, um die Primärproduktion von Kunststoffen zu reduzieren, einschließlich Kunststoffchemikalien und Kunststoffalternativen
- Beschränkungen und Verbote für bedenkliche Chemikalien in Kunststoffen
- Abkehr von nicht wesentlichen Kunststoffchemikalien, -materialien und -produkten
- ein Konzept, um zeitlich begrenzte Ausnahmen für gefährliche Kunststoffe zu ermöglichen, die für die von entscheidender Bedeutung sind und für die es derzeit keine sichereren und nachhaltigeren Alternativen gibt
- Einheitliche Sicherheits-, Umwelt- und soziokulturelle Nachhaltigkeitskriterien für Kunststoffe, Chemikalien, Materialien, Produkte, Technologien, Alternativen und Ersatzstoffe
- eine transparente Berichterstattung und Überwachung von Kunststoffchemikalien, Materialien, Produkten und den sie unterstützenden Technologien, Systemen und Dienstleistungen
- einen spezieller Finanzmechanismus sowie (technische) Zusammenarbeit, um die Vertragsparteien dabei zu unterstützen, ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag nachzukommen und um einen gerechten Übergang für die betroffene Bevölkerung, Gemeinden und Arbeitnehmer zu gewährleisten
- eine eigene unabhängige Schnittstelle für die Wissenschaftspolitik mit klaren Mechanismen, um Interessenkonflikte zu bewältigen und abzuschwächen
(PM AWI)