Das Fischen der Großen hat genetische Konsequenzen
In der Fischerei sind viele Fanggeräte so konzipiert, dass die großen Fische ins Netz gehen, während die kleineren entkommen können. Die sog. größenselektive Fischerei kann Computermodellen zufolge in wenigen Generationen das Wachstumspotenzial der überlebenden Fische reduzieren und ihr Verhalten verändern.
Ob die Auswirkungen der Fischerei bis in die Gene zurückverfolgt werden können, wird jedoch kontrovers diskutiert. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Universität Turku weist nun nach, dass die stete Entnahme der größten Individuen aus einem Fischbestand tatsächlich Veränderungen in der Aktivität von Tausenden Genen nach sich zieht.
In einem fast zehn Jahre dauernden Experiment wurden zwei Populationen des Zebrabärblings – ein in der Forschung bewährter Modellfisch – über fünf Generationen mit zwei unterschiedlichen Entnahmestrategien befischt: Einer Population wurden gezielt nur die größten Individuen entnommen, wohingegen die zweite Population zufällig – in Bezug auf die Körpergröße – befischt wurde. Danach wurden beide Populationen für eine Dauer von sechs Generationen nicht befischt und konnten sich vom Fischereidruck „erholen“. Die Studie [1] fand unter kontrollierten Bedingungen in Fischtanks statt, um sämtliche Störeinflüsse auszuschließen und so den Bezug zwischen Ursache – größenselektive Sterblichkeit – und Wirkung – mögliche genetische Veränderungen – herstellen zu können.
Die Experimentalfische passten sich in kürzester Zeit an die größenselektive Befischung an. Nach nur fünf Generationen kam es zu Veränderungen in der Aktivität und Ausprägung von rund 4300 Genen. Außerdem stellten die Fischereiforscherinnen und -forscher fest, dass die veränderten Ausprägungsmuster der Gene, die beispielweise für Merkmale wie Wachstum und Verhaltensweisen verantwortlich sind, mit Veränderungen in Hunderten kleinen DNA-Abschnitten korrespondierten. Erst wenn dies der Fall ist, das heißt, wenn die veränderten Ausprägungsmuster bis in die Genorte (Allele) in der DNA nachgewiesen werden können, spricht man von Evolution.
Fischerei als Evolutionsfaktor
„Damit ist der Beweis erbracht, dass sich ein hoher, größenselektiver Fischereidruck sowohl in der DNA als auch in den davon gesteuerten Ausprägungsmustern vieler Gene nachweisen lässt – die Fischerei beeinflusst die Evolution“, erläutert Projektleiter Prof. Dr. Robert Arlinghaus, der am IGB und der Humboldt-Universität zu Berlin zu nachhaltiger Fischerei forscht und lehrt, die Bedeutung der Ergebnisse. Eine erste, im Jahr 2015 veröffentlichte Studie [2] an den gleichen Zebrafischlinien hat bereits gezeigt, dass die an die Fischerei angepassten Fische mehr Energie in die Fortpflanzung investierten, ein langsameres Wachstum im Erwachsenenalter aufwiesen und scheuer waren. „Die beiden Studien belegen zusammengenommen, dass die genetischen Veränderungen tatsächlich auch veränderte Merkmale wie eine reduzierte Größe im Erwachsenenalter hervorbringen. Da Gene involviert sind, lassen sich die Merkmalsänderungen, zum Beispiel im Wachstum oder in der Scheuheit, selbst nach Einstellen der Fischerei nicht einfach so umkehren“, ergänzt Arlinghaus.
Mehr Schutz für große Fische
Trotz der eingeschränkten Übertragbarkeit der Laborstudie auf die Verhältnisse in Flüssen, Seen und Meeren, zeigen die Ergebnisse eindeutig, dass größenselektive Fischerei im Sinne Darwins als Evolutionsfaktor wirkt. Diese evolutionäre Anpassung kommt den Fischen „zu Hilfe“, da sich kleinere und scheuere Fische schwerer fangen lassen. Das bekommen auch Fischer und Angler zu spüren, die immer weniger im Kescher haben. „Bewirtschafter können die fischereiliche Evolution verhindern oder zumindest reduzieren, indem Fischer und Angler nachhaltig und nicht zu intensiv fischen. Darüber hinaus lohnt sich der Schutz der großen, kapitalen Tiere. Wir empfehlen statt der gängigen Mindestmaße sogenannte Entnahmefenster als Fangbestimmung einzusetzen. Durch die Vorgabe von Mindest- und Maximalmaßen, die zusammengenommen das Entnahmefenster bilden, werden sowohl die kleinen, unreifen als auch die stattlichen, großen Laichtiere geschont. Das hilft, die Auswirkungen des Selektionsdrucks auf Wachstum, Geschlechtsreifung und Scheu zu mildern und erhält nach einer weiteren kürzlich von uns vorgelegten Studie [3] die Merkmalsvariation und so die Anpassungsfähigkeit der Population“, fasst Robert Arlinghaus die aktuelle Studienlage zusammen.