Forscher nehmen Ostsee fächerübergreifend unter die Lupe
„Der Zustand der Küstensysteme der deutschen Ostseeküste hat sich in den vergangenen 25 Jahren deutlich verändert – und zwar zum Besseren", urteilt Prof. Hendrik Schubert vom Lehrstuhl Ökologie der Universität Rostock. Noch vor 25 Jahren seien vor allem die inneren Küstengewässer in einem denkbar schlechten Zustand gewesen. „Jetzt beobachten wir bereits wieder ausgedehnte Unterwasserwiesen. Damit hat sich das gesamte Ökosystem verändert und wir fangen gerade an zu verstehen, wie es unter diesen neuen Bedingungen funktioniert und wie wir es behandeln müssen, um den positiven Trend zu unterstützen."
Der Biologe und sein Projektteam haben die inneren Küstengewässer, wie beispielsweise den Bodden, in den vergangenen vier Jahren unter die Lupe genommen. Zufrieden sind sie mit dem gegenwärtigen Zustand noch nicht; verglichen mit der Zeit vor 1870 sind nach wie vor Schädigungen erkennbar. Warum gerade diese Jahreszahl? Weil es für den Ostseeraum keine durch den Menschen unbeeinflussten Gebiete gibt, musste als Referenz der historische Zustand der Ostsee vor Einsetzen der Industrialisierung rekonstruiert werden. „Das wäre ohne die vielen Sammlungen und aktive Hilfe aus den Museen nicht möglich gewesen", sagt Prof. Schubert
Sowohl die Wasserrahmenrichtlinie als auch die aktuelle Meeresstrategie-Richtlinie der Europäischen Union (EU) verlangen, dass der ökologische Zustand der Küsten-und Meeresgebiete bewertet wird. Für die Küstenforscher Deutschlands bedeutet das, dass geeignete Indikatororganismen identifiziert werden müssen, die eine Bewertung des ökologischen Zustandes ermöglichen.
Ein Verbund von Rostocker, Greifswalder und Kieler Forschern arbeiten gegenwärtig in mehreren Projekten an dieser Aufgabe. Neu ist dabei, dass in den zwei Projekten, die in Rostock koordiniert werden, in Zusammenarbeit mit den Kieler Forschern erstmals auch die Wechselwirkungen zwischen ökonomischen und ökologischen Aspekten erfasst und analysiert werden.
„Damit soll die Politik ein Hilfsmittel in die Hand bekommen, um bei Nutzungskonflikten, wie sie zwischen Tourismus, Schifffahrt und Fischerei zwangsläufig auftreten, eine belastbare Abwägung der Folgen und Risiken raumplanerischer Entscheidungen vornehmen zu können", betont Prof. Schubert die Zielsetzung dieser vom BMBF geförderten Arbeiten. Bis dahin ist allerdings noch viel zu tun. Vor allem die Frage, wie gesellschaftliche Akzeptanz entsteht und welche Rückkopplungsmechanismen hier zu Paradigmenwechseln führen können, sind bislang noch wenig verstanden. Solche Wechselwirkungen zwischen Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlicher Wahrnehmung des Wertes von Küstengebieten sind genauso Gegenstand der Untersuchungen wie die Effekte unterschiedlicher Reaktionszeiten der einzelnen Organismengruppen.
Um solch ein breitgefächertes Aufgabenspektrum bearbeiten zu können, hat Prof. Schubert ein Team zusammengestellt, das neben ausgewiesenen Ökologen wie PD Dr. Rhena Schumann aus Rostock, PD Dr. Irmgard Blindow aus Greifswald und Prof. Felix Müller aus Kiel mit Dr. Buzcko und Dr. Jurasinski auch Agrarökologen sowie die Wirtschaftswissenschaftler um Prof. Martin Benkenstein von der Uni Rostock und Gesellschaftswissenschaftler aus Kiel um Prof. Konrad Ott umfasst.
Solch eine fachübergreifende Zusammenarbeit ist nicht immer einfach, die Disziplinen haben ihre eigene Sprache und die Methodik ist häufig grundverschieden. Hier allerdings kann sich das Team auf eine langjährige Vorgeschichte stützen; die Zusammenarbeit zwischen den Standorten bietet sie. „In Rostock wurden, noch zu Zeiten des kalten Krieges, eine Nicht-Regierungsorganisation die „Baltic Marine Biologists" (BMB) gegründet, mit der es Wissenschaftlern aus der ganzen Ostsee möglich wurde, durch den eisernen Vorhang hindurch direkt zusammenzuarbeiten. Die BMB legten damit den Grundstein für die Entwicklung, die letztlich zur HELCOM führte und eine deutliche Verbesserung des Zustandes der Ostsee zur Folge hatte", sagt Prof. Schubert.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Küstenforschungsprojekte BACOSA und SECOS im Schwerpunkt „Küstenforschung Nord- und Ostsee (KüNO)" im Forschungsrahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA)".
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