Forscher warnen vor Zusammenbruch des Dorschbestandes in der westlichen Ostsee

Expertinnen und Experten des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ aus den Bereichen Biologie, Ökonomie und Recht kritisieren in einem aktuellen Positionspapier die kürzlich beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung und Europäischen Union zur Sicherung des Bestandes des westlichen Ostseedorsches als nicht ausreichend. „Weder die Festlegung der Fangquoten, noch die im Oktober im Haushaltsausschuss der Bundesregierung beschlossenen finanziellen Ausgleichzahlungen für kurze selbstgewählte Stilllegung der betroffenen Fischkutter tragen zur nachhaltigen Erholung des Bestands bei“, sagt Fischereibiologe Dr. Rainer Froese vom GEOMAR, einer der Autoren des Papiers. Die Forschenden befürchten vielmehr einen Zusammenbruch des Bestands im Jahr 2019. Die gesamten Maßnahmen stünden, so das Autorenteam, im Widerspruch zu den Zielen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP 2013) der Europäischen Union. „Sie fordert eigentlich Fangquoten, die erlauben, dass sich Bestände erholen und dann langfristig hohe Fänge liefern können“, betont Dr. Froese. Die Kieler Forscherinnen und Forscher im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ setzen sich in interdisziplinären Arbeitsgruppen seit Jahren mit den wirtschaftlichen wie auch biologischen Folgen der Überfischung kommerziell wichtiger Speisefische wie dem Ostseedorsch auseinander.

Die langjährige Überfischung hat dazu geführt, dass sich der Dorschbestand in der westlichen Ostsee seit Jahren außerhalb sicherer biologischer Grenzen befindet. Der Elternbestand ist derzeit so klein, dass eine normale Nachwuchsproduktion gefährdet ist. Bereits seit 2009 besteht eine mehr als 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Nachwuchs beeinträchtigt ist oder sogar ausbleibt. Ökosystemmodelle des GEOMAR zeigen bereits seit Jahren einen Mangel an Jungdorschen.
Im September hatte der Ministerrat der EU die Fangquoten für den Dorsch in der westlichen Ostsee zwar deutlich gesenkt und erstmals auch Obergrenzen für die Sport- und Freizeitfischerei eingeführt. Doch die Quoten liegen immer noch deutlich über den wissenschaftlichen Empfehlungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES). „Der Bestand ist in einem kritischen Zustand, aber die erlaubten Fänge sind etwa doppelt so hoch wie die wissenschaftliche Empfehlung“, betont Dr. Froese. Die aus Sicht der Wissenschaft zu hohen Fangquoten für das nächste Jahr werden den schwachen Jahrgang weiter dezimieren. Dorsche können sich erst ab einem Alter von etwa drei Jahren fortpflanzen. Werden aber die wenigen zukünftigen Elternfische schon vorher gefangen, dann droht dem Bestand der Kollaps. Bei anhaltendem Fischereidruck erwarten die Kieler Forscherinnen und Forscher einen Zusammenbruch im Jahr 2019.

Spezielle Maßnahmen zum Schutz von bedrohten Beständen wie die Schließung der Fischerei oder die Schließung von besonderen Gebieten – wie es die Gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union erlauben würde – wurden bei den kürzlich von EU- und Bundespolitik beschlossenen Maßnahmen nicht berücksichtigt.

Die beschlossenen finanziellen Hilfen für Fischer und Fischerinnen, die ihren Kutter vorrübergehend und in einem selbst gewählten Zeitraum bis zu drei Mal zehn Tage lang stilllegen, seien eher kontraproduktiv, so das Autorenteam. „Sie verringern nicht die Gesamtmenge an Dorsch, die der Fischer aus der Ostsee holt. Der zusätzliche finanzielle Spielraum kann angesichts der zu hohen Quoten im Gegenteil dazu führen, dass mehr gefischt wird“, erklärt der Ressourcenökonom Professor Martin Quaas von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Fischerei“ im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“.

Die Kieler Forscherinnen und Forscher sprechen sich in ihrem Positionspapier daher für eine Einhaltung der wissenschaftlich bestimmten Höchstgrenzen für die Fangmenge aus. Um den Bestand des Dorsches in der westlichen Ostsee langfristig zu retten, schlagen sie außerdem eine Einstellung des kommerziellen Dorschfangs sowie der Freizeitfischerei für mindestens zwei Jahre vor. Die finanziellen Hilfen könnten bei einem solchen vollständigen Fangstopp als Ausgleichszahlungen für betroffene Ostseefischer und -fischerinnen sowie Angelkutter eingesetzt werden. „Restriktive Fangquoten sind auch die ökonomisch sinnvollste Lösung, um den Bestand schnell wiederaufzubauen und die wirtschaftliche Basis der Fischerei damit zu sichern“, betont Professor Quaas. Werden die vorgeschlagenen Maßnahmen eingehalten, prognostizieren die Forscherinnen und Forscher eine mögliche schnelle Erholung des Bestandes und in wenigen Jahren deutlich mehr Gewinne für die Fischerei und große Dorsche für die Anglerinnen und Angler in der westlichen Ostsee.

(PM Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" und GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, zum Artikel auf uni-kiel.de)

Link zum Positionspapier

PM des MELUR zur Dorschfangquote für Angler


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