„Kohlendioxid-Brille“ schärft Blick auf den Zustand der Ostsee

Bernd Schneider und Jens Müller vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) sind die Autoren eines kürzlich erschienenen englischen Fachbuches zur Biogeochemie der Ostsee. Das Besondere: Die Meereschemiker stellen ein neues Konzept vor, das anhand von Untersuchungen des marinen CO2-Kreislaufs eine umfassende Analyse biogeochemischer Prozesse erlaubt und damit neue Wege für ein effizientes Monitoring des ökologischen Zustandes von Meeresgebieten eröffnet. Dazu werteten sie unter anderem einzigartige, über fast 15 Jahre gewonnene Daten von zeitlich und räumlich engmaschigen CO2-Messungen in der Ostsee aus, die automatisiert an Bord eines Frachtschiffes erhoben wurden.

Die Erforschung des marinen Kohlendioxid-Kreislaufs ist bereits seit rund 30 Jahren ein Fokus in der Meeresforschung. Im Vordergrund steht dabei meist die Frage, inwieweit die Ozeane am globalen Haushalt des Klimagases CO2 beteiligt sind und dessen durch den Menschen verstärkte Freisetzung in die Atmosphäre abpuffern können. Zunehmend rückt auch das Folgeproblem Ozeanversauerung in den Blickpunkt, da sich vermehrt CO2 im Meerwasser zu Kohlensäure umwandelt.

Wenn sich jedoch Bernd Schneider und Jens Müller vom IOW die „CO2-Brille“ aufsetzen, wie sie es im Untertitel ihres Buches nennen, geht es ihnen nicht um die Betrachtung dieses globalen, durch CO2 angetriebenen Wandels mariner Ökosysteme. Vielmehr nehmen sie zentrale Prozesse unter die Lupe, die den ökologischen Zustand der Ostsee charakterisieren: jahreszeitlich und je nach Ostseeregion unterschiedliche Primärproduktion durch Phytoplankton als mögliche Folge von Überdüngung – darunter auch Blaualgen-Massenentwicklungen – sowie die Zersetzung von Biomasse und die dadurch bedingte Sauerstoffarmut im Tiefenwasser der zentralen Ostseebecken. Für ihre Analysen machen sich die Autoren die Tatsache zunutze, dass all diese Prozesse direkt an den Verbrauch bzw. die Freisetzung von CO2 gekoppelt sind. Denn die Neubildung jedes organischen Moleküls in der Biomasse von Organismen erfordert die Aufnahme eines Äquivalents CO2. Umgekehrt führt die Zersetzung der Biomasse zur Freisetzung von CO2. Im Meerwasser schlägt sich beides ganz unmittelbar in messbaren Veränderungen der CO2-Konzentration nieder, die daher die zeitliche und räumliche Dynamik biogeochemischer Abläufe sehr genau nachzeichnen.

Um zu demonstrieren, dass derartige Messungen hervorragend genutzt werden können, um diese fundamental wichtigen Prozesse im Detail zu erfassen, offene Fragen zu identifizieren und zu beantworten, führten Schneider und Müller erstmals verschiedene Daten und Erkenntnisse aus fast 25 Jahren IOW-Forschung zusammen. Besonders bemerkenswert ist dabei ein Datensatz von CO2-Messungen im Oberflächenwasser, der über 15 Jahre nahezu ununterbrochen durch automatisierte Messsysteme an Bord eines sogenannten freiwilligen Beobachtungsschiffes („voluntary observing ship“) erhoben wurde. Dieses vom IOW mit wissenschaftlichem Gerät ausgestattete Frachtschiff der Reederei „Finnlines“ pendelt mehrfach wöchentlich zwischen Lübeck und Helsinki. Dadurch wird eine Datendichte erzielt, die kein Forschungsschiff erreichen kann.

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(PM IOW, gekürzt, www.io-warnemuende.de)

 


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