Navigieren ohne Sextant und GPS
Der Dreistachlige Stichling ist seit langem ein beliebtes Forschungsobjekt. Ob Evolution, Paarungsverhalten, Populationsgenetik oder Physiologie: Die kleinen, meist silbernen Fische bieten Biologinnen und Biologen Ansatzpunkte für alle möglichen Untersuchungen. Doch über einen Aspekt des Stichling-Lebens ist bislang kaum etwas bekannt: Wie die schlanken, meist nur wenige Zentimeter langen Tierchen navigieren, liegt größtenteils im Dunkeln.
„Hier in der Nordsee wandern die Stichlinge im Frühjahr zum Laichen in die Flüsse ein, etwa in die Weser und die Ems“, sagt Prof. Dr. Gabriele Gerlach. Dass die Fische in dem riesigen, eintönigen Meeresgebiet die Flussmündungen finden, erscheint fast wie ein kleines Wunder. Die Aufgabe, sich in den Weiten der Ozeane zu orientieren, sei viel schwieriger als auf den Kontinenten, erläutert die Forscherin vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften. „Fische können sich nicht nach Landmarken richten wie viele Zugvögel, zudem werden sie durch Ebbe und Flut, starke Strömungen oder auch Stürme immer wieder vom Kurs abgebracht.“ Wenige Kilometer vor einer Flussmündung hilft ihnen wahrscheinlich der Geruch dabei, den Weg zurück zum Ort ihrer eigenen Geburt zu finden. Doch auf der Langstrecke benötigen sie andere Methoden.
Von der Kieler Förde zum Öresund
Ob dazu die Orientierung am Erdmagnetfeld zählt, untersucht Gerlach zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen Dr. Lisa Spiecker, Malien Laurien und Wiebke Dammann innerhalb des Sonderforschungsbereichs „Magnetrezeption von Vertebraten“, der vom Oldenburger Neurobiologen Prof. Dr. Henrik Mouritsen geleitet wird. Eine große Herausforderung für die Fischexpertin und ihr Team besteht darin, dass die Wanderungsbewegungen fast aller Fische nur schwer zu verfolgen sind – unter anderem, weil GPS-Sender unter Wasser nicht funktionieren.
Um deren Sinnesleistungen zu entschlüsseln, müssen sie und ihr Team daher Arten untersuchen, deren Wanderrouten zumindest grob bekannt sind. „Wenn wir wissen, in welche Richtung die Fische ziehen wollen, können wir mit Experimenten herausfinden, an welchen Reizen sie sich orientieren“, erklärt sie. Neben den Stichlingen aus der Nordsee untersuchen die Forschenden derzeit junge Heringe aus der Kieler Förde, von denen bekannt ist, dass ihr Ziel der Öresund ist, die Meerenge zwischen der Insel Seeland und der Provinz Schonen.
„Wir setzen die Tiere in durchsichtige Plastikschüsseln, etwa so groß wie eine Tortenhaube, und filmen sie“, erläutert Gerlach. Anhand der Aufnahmen lässt sich die bevorzugte Schwimmrichtung der Fische ermitteln. Um herauszufinden, inwieweit das Magnetfeld eine Rolle bei der Orientierung spielt, nutzen die Forschenden sogenannte Helmholtz-Spulen. Mit diesen Magnetspulen lässt sich ein künstliches, gleichförmiges Feld in beliebiger Richtung erzeugen – beispielsweise um 90 Grad gegenüber dem Erdmagnetfeld gedreht. Um die Sonne als Orientierungsmöglichkeit auszuschließen, finden die Experimente nachts statt. „Wenn die Stichlinge ihre Bewegungsrichtung ändern, wenn wir das Feld drehen, können wir daraus schließen, dass sie magnetische Reize wahrnehmen können“, erläutert Gerlach.
Larven mit Magnetkompass
Mit einem derartigen Versuchsaufbau fanden Gerlach, Mouritsen und Kollegen 2016 starke Hinweise darauf, dass Kardinalfische tatsächlich einen Magnetkompass besitzen. Als Larven werden Tausende der kleinen Fische, die im Great Barrier Reef in Australien häufig vorkommen, bis zu 50 Kilometer weit in den offenen Ozean gespült. Nach einigen Wochen machen sich die Überlebenden auf den Rückweg – und kehren erstaunlich häufig wieder genau zu dem Teil des Riffs zurück, in dem auch ihre Eltern leben.
In der Zeitschrift Current Biology berichtete das Team damals, dass sich die Fische vermutlich in der ersten Phase der Wanderung nicht nur am Erdmagnetfeld, sondern auch am Stand der Sonne und an den Sternen orientieren, um die grobe Richtung zu finden. Wenn sie sich dann ihrem Ziel nähern, spielen wahrscheinlich lokale Reize wie Gerüche oder auch Geräusche die entscheidende Rolle dafür, dass die Korallenfische wieder am Riff ihrer Geburt landen und nicht wenige Kilometer entfernt.
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(PM Universität Oldenburg, gekürzt)