Re-Diversifizierung für einen nachhaltigen Küstenschutz

Jahrhunderte lang war der Küstenschutz geprägt vom Kampf gegen die Natur. Heute ermöglicht er ein sicheres Leben und Wirtschaften an der Küste. Der Klimawandel aber stellt neue Herausforderungen an den Bestand und erfordert erhebliche Anpassungen. In Kombination mit einem Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Sicht auf die Küstenlandschaft und die Natur wird ein Diskurs über technisch möglichen, nachhaltigen und sinnvollen Küstenschutz der Zukunft angeregt. Naturbasierte Maßnahmen (engl. „Nature-based Solutions“, NbS) stellen eine vielversprechende Anpassungsoption für sandige Küsten dar, weil sie neben dem reinen Schutz auch einen ökologischen und gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Damit diese in der Küstenschutzpraxis etabliert werden und ihr Potenzial für Küstenschutz, Natur und Mensch voll ausschöpfen können, ist ein erweitertes Verständnis von NbS sowohl aus ingenieurwissenschaftlicher als auch aus gesellschaftlicher Perspektive notwendig.
Im Exzellenzclusters CliCCS („Climate, Climatic Change and Society“) arbeiten Forschende des Instituts für Wasserbau der Technischen Universität Hamburg und des Instituts für Geographie der Universität Hamburg im interdisziplinären Team an genau diesen Fragestellungen.
Die Dissertation von Dr. Philipp Jordan, die im Rahmen von CliCCS entstanden ist, betrachtet beispielhaft für sandige Küsten die Nordfriesischen Inseln Amrum und Föhr. Mittel einer systematischen Literaturrecherche wird hier ein Einblick in die Entwicklung des Küstenschutzes und sein charakterisierendes Rational gewonnen. Wie dieses in den Köpfen der Menschen verankert ist, wird durch die Analyse durchgeführter, halbstrukturierter Interviews untersucht. Es zeigt sich eine dynamische Entwicklung, die durch das Experimentieren mit verschiedensten Küstenschutzmaßnahmen gekennzeichnet war. Während bewährte Maßnahmen wie der Deichbau oder die Dünenbepflanzung überwiegend als sinnvoll und vorläufig vertrauenswürdig bewertet werden, wird vermeintlich neuen Konzepten wie NbS zunächst oft mit Skepsis begegnet. Sie lassen sich nicht ohne Weiteres in das etablierte Kategoriensystem des Küstenschutzes einordnen. Küstenökosystemen als NbS bieten jedoch eine Chance, bestehende Konflikte zu überwinden. Dank ihrer natürlichen Resilienz stellen NbS ergänzend zum bestehenden Küstenschutz eine nachhaltige Anpassungsoption an den Klimawandel dar. Um das Verständnis von NbS aus einer ingenieurwissenschaftlichen Perspektive zu erweitern, werden durch eine konzeptionelle Analyse die Eigenschaften der NbS, die die ingenieurtechnischen Stellschrauben darstellen, identifiziert und ihre Rolle sowie Wirkungsketten in Bezug auf Leistung, Beständigkeit und Resilienz herausgearbeitet. Um das Verständnis von NbS aus gesellschaftlicher Sicht zu erweitern, wird eine sozialwissenschaftliche Analyse der Kernanforderungen der Küstenbewohner an den Küstenschutz durchgeführt. Dies kann Küstenbewohner helfen, NbS in ihr etabliertes Kategoriensystem Küstenschutz einzuordnen und mit ihren Wertvorstellungen zu verknüpfen. Küsteningenieuren verdeutlicht das Konzept außerdem die Bedeutung und das Potenzial gesellschaftlicher Aspekte für die effektive Kommunikation und Realisierung von Maßnahmen.
Beide Perspektiven tragen zu einem erweiterten konzeptionellen Verständnis von NbS bei, damit sie als nachhaltige Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in der allgemeinen Praxis etabliert werden können, und so letztlich zur Re-Diversifizierung des Küstenschutzes für eine erhöhte Resilienz beitragen.
Die englischsprachige Dissertation von Dr. Philipp Jordan mit dem Titel „Nature-based Solutions for sandy coasts as sustainable adaptation measures to climate change - A contribution to the broadened conceptual understanding of NbS from an engineering as well as a societal perspective” ist online unter doi.org/10.15480/882.13095 frei verfügbar. Weitere Informationen zum CliCCS-Projekt finden Sie unter www.cliccs.uni-hamburg.de bzw. www.tuhh.de/wb/forschung/aktuelle-projekte/cliccs-3 .
(PM Dr. Philipp Jordan)
Kontakt:
Dr. Philipp Jordan